Revision des Schweizer Stiftungsrechts - Stärkung des Schweizer Stiftungsstandorts?

Um die Schweiz als Stiftungsstandort zu stärken, wurde im Jahr 2014 eine parlamentarische Initiative eingereicht, mit der Aufforderung an das Parlament Rahmenbedingungen für ein wirksames und liberales Schweizer Gemeinnützigkeits- und Stiftungswesen zu schaffen. 2021 kam das Parlament dieser Aufforderung, zumindest teilweise, nach und beschloss unter dem Titel «Stärkung des Schweizer Stiftungsstandorts» eine Revision des Schweizer Stiftungsrechts. Die Änderungen treten per 1. Januar 2024 in Kraft.

Das neue Stiftungsrecht räumt Stifter:innen weitergehende Rechte ein. Die wesentlichen Änderungen betreffen die neu gesetzlich verankerte Stiftungsaufsichtsbeschwerde, die Möglichkeit eines Organisationsänderungsvorbehalts durch den bzw. die Stifter:in sowie die Erleichterung der Vornahme von unwesentlichen Änderungen der Stiftungsurkunde und die Klarstellung, dass Änderungen der Stiftungsurkunde nach Art. 85-86b nZGB nicht mehr der öffentlichen Beurkundung unterstehen.

Stiftungsaufsichtsbeschwerde

Art. 84 ZGB unterstellt Stiftungen der Aufsicht des Gemeinwesens. Die Aufsicht soll nicht nur die Funktionsfähigkeit der Stiftung gewährleisten, sondern auch sicherstellen, dass der Stiftungszweck verwirklicht, und der Wille der Stifter:innen eingehalten wird.

Neben dieser direkten Aufsicht wurde bisher Drittpersonen die Möglichkeit eingeräumt, gegen rechts- und statutenwidriges Handeln oder Unterlassungen der Stiftungsorgane bei der zuständigen Aufsichtsbehörde Beschwerde zu erheben. Zwar fehlte dafür bislang eine gesetzliche Grundlage, die Notwendigkeit der Anfechtbarkeit pflichtwidrigen Verhaltens der Stiftungsorgane war aber anerkannt (statt vieler: BGE 107 II 385, E. 4).

Mit Art. 84 Abs. 3 nZGB wird neu eine explizite Gesetzesgrundlage für die Stiftungsrechtsbeschwerde geschaffen.

Art. 84 nZGB

[…]

3 Begünstigte oder Gläubiger der Stiftung, der Stifter, Zustifter und ehemalige und aktuelle Stiftungsratsmitglieder, welche ein Interesse daran haben, dass die Verwaltung der Stiftung mit Gesetz und Stiftungsurkunde in Einklang steht, können gegen Handlungen und Unterlassungen der Stiftungsorgane Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde erheben.

Zwar ist die Kodifizierung der Aufsichtsbeschwerde vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit zu begrüssen, der Gesetzestext jedoch nach der hier vertretenen Ansicht unvollständig sowie zu eng gefasst. Mit der abschliessenden Aufzählung der beschwerdeberechtigten Personen wurden beispielsweise Erbnachfolger:innen der Stifter:innen sowie weitere Stiftungsorgane von der Beschwerdemöglichkeit ausgeschlossen, obwohl diese vermutungsweise häufig nahe am Geschehen sind und Kenntnis von mangelhafter Stiftungsführung haben. Unvollständig ist die gesetzliche Verankerung zudem hinsichtlich des geforderten Interesses sowie einer allfälligen Frist zur Erhebung der Beschwerde.

Vorbehalt für künftige Organisationsänderungen

Das bisherige Recht, Art. 86a Abs. 1 ZGB, bot Stifter:innen nur die Möglichkeit, den Zweck der Stiftung zu ändern, sofern dies in der Stiftungsurkunde vorbehalten wurde. Zudem möglich waren bisher bereits Änderungen der Stiftungsurkunde, die aus sachlichen Gründen als geboten erscheinen und keine Rechte Dritter beeinträchtigen, jedoch nur solange diese "unwesentlich" waren. Bezüglich Organisationsänderungen welche Auswirkungen auf identitätsbestimmende Merkmale der Stiftung haben, kann nicht mehr von unwesentlichen Änderungen gesprochen werden. Folglich mussten bisher für solche Fälle immer die Voraussetzungen für wesentliche Organisationsänderungen erfüllt sein.

Mit Art. 86a Abs. 1 nZGB wird zusätzlich die Möglichkeit geschaffen, bei entsprechendem Vorbehalt die Organisation einer Stiftung zu ändern. Dieser Vorbehalt muss aber, wie auch der Zweckänderungsvorbehalt, bereits beim Errichten einer Stiftung stipuliert werden und kann nicht nachträglich in der Stiftungsurkunde ergänzt werden. Wurde er vorgenommen, bringt er eine gewisse Flexibilität für langfristige Anpassungen der Organisation, beispielsweise bei gleichzeitiger Zweckänderung, neu entstandenen Konflikten mit Familienmitgliedern, denen ursprünglich Mitwirkungsrechte zugestanden wurden, oder bei unerwartet hohem Stiftungsvermögen.

Die Änderung bringt nicht nur die beschriebene Flexibilität, sie bekräftigt auch die Stifter:innen gegenüber dem Stiftungsrat, in ihrer Stellung als zweck- und wegbestimmende Personen.  

Änderungen der Stiftungsurkunde

Mit Art. 86b ZGB waren bisher unwesentliche Änderungen der Stiftungsurkunde vorgesehen, sofern diese aus triftigen sachlichen Gründen als geboten erschienen und keine Rechte Dritter beeinträchtigten.

Die Revision lockert diese Voraussetzungen in Art. 86b nZGB, indem sie auf das Erfordernis der Triftigkeit verzichtet. Die Senkung dieser Hürde scheint vor dem Hintergrund einer erhöhten Flexibilität und Wirksamkeit des Stiftungsrechts sinnvoll.

Zudem wird durch Art. 86c nZGB klargestellt, dass Änderungen der Stiftungsurkunde keiner öffentlichen Beurkundung bedürfen. Die Änderungsverfügung der zuständigen Aufsichtsbehörden ist ausreichend. Diese Vereinfachung der administrativen Abläufe und Aufwendungen ist ebenfalls zu begrüssen.

Rück- und Ausblick

Mit der Revision wurden die Rechte der Stiftenden dahingehend gestärkt, dass ihre nachträglichen Einflussmöglichkeiten erweitert, und administrative Abläufe vereinfacht wurden. Die gesetzliche Grundlage der Stiftungsaufsichtsbeschwerde erhöht die Rechtssicherheit und ist entsprechend zu begrüssen, auch wenn sie wohl in der Praxis keine wesentlichen neuen Auswirkungen mit sich bringen wird.

Die Einschränkung der Beschwerdelegitimation auf die genannten, bestimmten Personen scheint das Ziel zu verfehlen. Ebenso bleibt die Auslegung, welches Interesse zur Erhebung der Beschwerde benötigt wird, Sache des Gerichts. Die Revision scheint in dieser Hinsicht keine Fortschritte zu bringen.

Weiterhin ungelöst ist bedauerlicherweise zudem die Thematik der Steuerbefreiung einer Stiftung, wenn deren Leitungsorgane angemessen entschädigt werden sollen. Die kantonalen Steuerbehörden orientieren sich zur Zeit weitgehend an den Praxishinweisen der Schweizerischen Steuerkonferenz zur Steuerbefreiung juristischer Personen vom 18. Januar 2008, welche vorsehen, dass bei üblichen Tätigkeiten als Mitglied eines Stiftungsrates von uneigennützigem Handeln ausgegangen wird. Anerkannt wird aber, dass je nach Grösse und Tätigkeitsbereich die Führung von Stiftungen einen Einsatz von Kräften verlangt, welcher ein "moderates" Sitzungsgeld zu rechtfertigen vermag. Bei dieser Auslegung steht den Steuerverwaltungen im Hinblick auf die Gewährung der Steuerbefreiung ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Mangels diesbezüglicher Revision, werden hier wohl die bisherigen unterschiedlichen und nicht transparent nachvollziehbaren kantonalen Usanzen bestehen bleiben.

Die Tragweite der Auswirkungen der Revision bleibt abzuwarten. Die Anpassungen sind zwar grösstenteils zu begrüssen, zu einer wirklichen, relevanten Stärkung des Stiftungsstandorts Schweiz werden sie wohl kaum führen. Eine tatsächliche Steigerung der Attraktivität und Professionalität des Stiftungsstandorts Schweiz wäre dann gelungen, wenn eines der wesentlichen Anliegen der Reform Eingang in das revidierte Schweizerische Zivilgesetzbuch gefunden hätte: Eine gesetzliche Klarstellung, dass die angemessene Honorierung von Stiftungsratsmitgliedern die Steuerbefreiung der Stiftung nicht gefährden dürfen.

Bei Fragen zum Stiftungsrecht steht Ihnen Balthasar Wicki gerne zur Verfügung.