HR-Praxis zur COVID-19-VO 2: Sinnwidrige Resultate, Anpassung war erforderlich (Update)

Update vom 04.04.2020

Am 3. April 2020 publizierte das BJ einen Update des FAQ Coronavirus und Generalversammlungen (Stand 01.04.2020) (hier die vormalige Fassung mit Stand 18.03.2020), in dem unsere unten geschilderte Sichtweise übernommen wurde und klargestellt wird, dass entgegen der von gewissen Notaren und HR-Ämter propagierten Interpretation der COVID-19-VO 2 eine GV mit nur einem einzigen Vertreter nicht als Versammlung im Sinne der COVID-19-VO 2 qualifiziert, mithin zulässig ist, auch wenn kein unabhängiger Stimmrechtsvertreter anwesend ist.

Unsere unten stehenden Ausführungen zur nicht zulässigen extensiven Interpretation von grundrechtseinschränkenden Erlassen und zur fraglichen Zulässigkeit der “Gesetzgebung via FAQ und Websitepublikationen” bleiben nach wie vor aktuell.

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Die Handelsregisterämter verfolgen aktuell eine Praxis in Bezug auf Anmeldungen von Gesellschaftsbeschlüssen von juristischen Personen, welche u.E. in gewissen Konstellationen dem Sinn und Zweck der COVID-19-Verordnung 2 widerspricht und zudem das Delegationsprinzip verletzt. Im Ergebnis fordern wir, dass die Handelsregisterämter ihre Praxis korrigieren und die Auslegung der Verordnung anhand ihres Sinns und Zwecks vornehmen.

Gesetzesgrundlagen

Durch die vom Bundesrat erlassene COVID-19-VO 2 können die Beschlüsse von Versammlungen von juristischen Personen auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form oder durch einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter gefasst werden. Das EHRA hat zusätzlich die Praxismitteilung EHRA 2/20 erlassen, welche auf den zu diesem Thema ausgearbeiteten FAQ verweist, das (gemäss Mitteilung) vom EJPD laufend ergänzt wird. Die Praxismitteilung wurde am 25. März 2020 veröffentlicht, am Anfang des FAQ ist vermerkt, dass die letzte Änderung am 18. März 2020 vorgenommen wurde. Was aus der erwähnten ständigen Ergänzung samt dynamischer Verknüpfung (was auch immer dies bedeutet) geworden ist, kann offenbleiben.

Handelsregisterpraxis

Der Austausch mit gewissen Handelsregisterämtern nach Erlass der COVID-19-VO 2 hat ergeben, dass Anmeldungen von Eintragungen zurückgewiesen werden, die nicht gemäss einer der in Art. 6a COVID-19-VO 2 aufgeführten Modalitäten beschlossen worden sind. Auf Nachfrage bei den Handelsregisterämter wird mitgeteilt, dass eine Praxis verfolgt wird, wonach Art. 6a der COVID-19-VO 2 als Ausnahmetatbestand von Art. 6 zu verstehen sei. Daraus folge, dass Versammlungen verboten sind, sofern sie nicht im Einklang des Ausnahmetatbestandes (Art. 6a) zustandegekommen sind. Die Grundlage für diese Praxis sehen die Ämter im FAQ auf Seite zwei, wo folgendes steht: “Sofern Gesellschaften nicht von den Möglichkeiten gemäss Art. 6a COVID-19-Verordnung 2 Gebrauch machen und ihre GV nach Obligationenrecht durchführen, kommen hingegen Art. 6 und 7 COVID-19-Verordnung 2 zur Anwendung und es ist gegebenenfalls eine Bewilligung der kantonalen Aufsichtsbehörde einzuholen.”

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Begriffsauslegung

Art. 6a COVID-19-VO 2 wurde als “kann”-Bestimmung ausformuliert, wodurch dem Veranstalter grundsätzlich ein Entschliessungsermessen eingeräumt wird. Im Verordnungstext oder in den zugehörigen Erläuterungen findet sich kein Hinweis, wonach Art. 6a COVID-19-VO 2 als Ausnahmetatbestand von Art. 6 zu verstehen sei. Die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) erlassenen Erläuterungen führen unter Art. 6 Abs. 1 COVID-19-VO 2 als Beispiel für verbotene Veranstaltungen die Generalversammlungen auf. Dies jedoch mit einer Verweisung auf Art. 6 Abs. 2 und 3. Nach unserer Ansicht ist aufgrund dieser Verweisung das Verbot kein generelles, sondern unter Einbezug der Verweisung auszulegen. Daraus folgt, dass Generalversammlungen, welche nicht unter den Begriff “Veranstaltung” subsumiert werden können, nicht unter das Verbot fallen. So sind gemäss den Erläuterungen zu Art. 6 Abs. 2 lit. e terminlich vereinbare Beratungsdienstleistungen einzelner Kunden, die in nicht generell öffentlichen Büros bzw. Kanzleiräumen stattfinden vom Verbot explizit ausgenommen. Dies muss auch für Generalversammlungen gelten, die z.B. auf Basis von Vertretungsvollmachten im Büro eines Notars stattfinden und wo (wie z.B. bei einer einfachen Kapitalerhöhung) nur der Verwaltungsrat teilnimmt. Für diesen Fall muss es möglich sein, dass die Aktionäre wie üblich den Verwaltungsrat mit der Vertretung ihrer Aktien bevollmächtigen können, auch wenn dies in Art. 6a COVID-19-VO 2 nicht vorgesehen ist. Eine solche über Vollmachten abgehaltene Generalversammlung qualifiziert eben gerade nicht als “Präsenzversammlung”, wie dies die Erläuterungen (zu Recht) ausschliessen.

Bizzarres Resultat

Wie bei Startups und anderen KMU-Transaktionen üblich, waren bereits bisher bei einer beurkundungspflichtigen Generalversammlung (Statutenänderungen, Kapitalerhöhungen, Sitzverlegungen etc.) lediglich zwei Personen anwesend: der Notar und ein Mitglied des Verwaltungsrats, der auch alle Aktienstimmen auf Basis von Spezialvollmachten vertrat. Wird in dieser Konstellation unter COVID-19-Regime den Weisungen der Handelsregisterämter gefolgt, wie dies aktuell der Praxis der Handelsregisterämter entspricht, führt dies zum bizarren Ergebnis, dass mindestens drei Personen an der Generalversammlung anwesend sein müssen, da weder der Verwaltungsrat noch der Notar als unabhängiger Stimmrechtsvertreter im Sinne der Verordnung qualifizieren. Dies kann bestimmt nicht Ziel der Bestimmung sein. Dass hingegen “grössere” Generalversammlungen, die als “Präsenzversammlung” qualifizieren, verboten sind, ist unbestritten.

Zum selben Ergebnis (dass kein generelles Verbot der Generalversammlungen besteht) gelangt man unserer Meinung nach auch, wenn Art. 6 COVID-19-VO 2 nach dem Sinn und Zweck der Verordnung ausgelegt wird (vgl. Art. 1 Abs. 1).

Die Praxis des EHRA schiesst in alltäglichen Fällen bei Startups und KMU erheblich am Ziel vorbei.
— RA Sebastian Wälti

Grundrechtseinschränkung

Wie die gesamte Notrechtsverordnung, ist auch Art. 6a COVID-19-VO 2 aufgrund seines weitreichenden Eingriffs in Grundrechte von den Behörden restriktiv auszulegen. Eine extensive Auslegung ohne die erforderliche formalrechtliche Basis (so u.a. alleine aufgrund von irgendwelchen FAQ, die irgendwo auf einer Behördenwebsite publiziert werden) erfüllt die formalrechtlichen Anforderungen an eine Ausweitung eines Eingriffs in verfassungsmässige Grundrechte sicherlich nicht und vermag demzufolge eine Ausdehnung des Grundrechtseingriffs nicht zu rechtfertigen.

Ferner würde eine ausweitende Auslegung der Bestimmung wohl das Delegationsprinzip verletzen, weil die Handelsregisterämter diesbezüglich über keinerlei Rechtsetzungsbefugnis verfügen. Auch erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die von den Handelsregisterämter verfolgte Praxis, auch wenn die gesetzliche Grundlage für den Grundrechtseingriff bejaht würde, wohl am Erfordernis der Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 BV) scheitern dürfte. Konkret betrifft dies die Erforderlichkeit der Einschränkung (Verbot aller Generalversammlungen) um das verfolgte öffentliche Interesse (öffentliche Gesundheit) zu erreichen.

Auswirkungen und Appell

Folge der gegenwärtigen formalistisch-überspitzten Praxis der Handelsregisterämter ist, dass sich Notare aus Angst vor den Strafbestimmungen der COVID-19-VO 2 gegenwärtig weigern, z.B. Beurkundungen von Generalversammlungen mit alleiniger Anwesenheit eines bevollmächtigten Verwaltungsrat vorzunehmen.

Es ist wohl allen bewusst, dass es aktuell schwierige Zeiten für sämtliche Teilnehmer des Wirtschaftslebens sind. Doch auch, oder besser gesagt umso mehr, sollten in diesen Zeiten auch kritische Stimmen und insbesondere die Grundsätze des rechtstaatlichen Handelns beachtet werden. Dies kann als Appell an sämtliche Behörden verstanden werden, welche sich aktuell als berechtigt fühlen, eine formfreie und extensive Auslegung der COVID-19-VO 2 vorzunehmen. In diesem Sinne hoffen wir, dass aufgrund der gemachten Ausführungen die Handelsregisterämter ihre Praxis in diesen spezifischen Fällen überdenken und alsbald nach dem Sinn und Zweck der COVID-19-VO 2 ausrichten.


Für Rückfragen stehen Ihnen Balthasar Wicki und Sebastian Wälti zur Verfügung.