COVID-19-Solidarbürgschafts-VO: Erster Kommentar und Einschätzung

Die neue Notverordnung des Bundesrats zur Besicherung der KMU-Sofortkredite (AS 2020 1077; offiziell etwas umständlich “COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung” genannt, hier mit “COVID-19-SolBüVO” abgekürzt) wurde in Rekordzeit erarbeitet. Anträge für dieses (in seiner Struktur volkswirtschaftlich nicht unproblematische) Garantieprogram) können durch KMU bereits ab heute, 26.03.2020, 08:00h, über ein online verfügbares Antragsformular gestellt werden. Der Bundesrat veröffentlichte auch zugehörige Erläuterungen und ein FAQ. Auch die FINMA und SwissBanking liessen sich in Medienmitteilungen verlauten.

Das Garantieprogramm im Umfang von CHF 20 Mia. steht Einzelunternehmen, Personengesellschaften und juristische Personen und baut dabei auf den bestehenden Strukturen der gesetzlich geregelten Bürgschaftsgenossenschaften auf.

Das Programm beinhaltet zwei Kreditfazilitäten:

Ablauf der Kreditbegebung für Covid-19-Kredite

Ablauf der Kreditbegebung für Covid-19-Kredite

  • Kreditfazilität 1 (sog. “Covid-19-Kredit”): Beträge bis zu CHF 0.5 Mio. werden von den Banken aufgrund eines einfachen Antrags unkompliziert ausbezahlt und vom Bund via die Bürgschaftsgenossenschaften zu 100 Prozent garantiert.

  • Kreditfazilität 2 (sog. “Covid-19-Kredit Plus”): Darüber hinausgehende Beträge werden vom Bund zu 85 Prozent garantiert, der Rest muss mit kuranten Sicherheiten garantiert werden oder die Bürgschaftsgenossenschaften decken den Restbetrag selber ab. Vorausgesetzt ist eine vorgängige Prüfung des Antrags durch die Bank. Der maximale Betrag der Kreditfazilität liegt bei CHF 20 Mio. pro Antragsteller.

Gemäss Bundesrat dürften die Kreditbeträge bis zu CHF 0.5 Mio. über 90% der betroffenen Unternehmen abdecken. Der Bundesrat geht dabei davon aus, dass über dieses Gefäss Überbrückungskredite im Umfang von bis zu CHF 20 Mi. vom Bund garantiert werden. Der Gesamtbetrag ist allerdings durch die Bundesversammlung zu bewilligen (Art. 2 COVID-19-SolBüVO), was Unsicherheiten schafft.

Erste Kommentare und Anmerkungen

Folgendes fällt bei der Durchsicht der COVID-19-SolBüVO auf:

  • Ein Covid-19-Kredit steht Unternehmen zur Verfügung, die vor dem 01.03.2020 gegründet wurden, später gegründete Unternehmen haben keinen Anspruch.

  • Voraussetzung ist gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. c COVID-19-SolBüVO, dass die Gesuchsteller “aufgrund der COVID-19-Pandemie namentlich hinsichtlich ihres Umsatzes wirtschaftlich erheblich beeinträchtigt sind”. Dieses wesentliche Ermessenskriterium, dass eine “erhebliche Beeinträchtigung namentlich hinsichtlich des Umsatzes” vorliegen muss, widerspricht der Versprechung des Bundesrats, dass Kredite “rasch und unbürokratisch” zur Verfügung stehen werden. Die Erläuterungen zur genannten Bestimmung führen dann auch aus, dass Umsatzeinbussen aufgrund von Problemen in der Supply Chain, d.h. Umsatzeinbussen die nicht direkt-kausal aufgrund des Verhaltens der Abnehmer entstehen, nicht zu einem Covid-19-Kredit berechtigen. SO wird ausdrücklich in den Erläuterungen der Fall erwähnt, dass kein Kreditgrund gegeben sei, wenn z.B. Unternehmungen aufgrund von Hygienegründen geschlossen werden müssen. Diese Unterscheidung scheint sehr problematisch zu sein und schiesst am Ziel vorbei, der gesamten “Realwirtschaft” (wie das die FINMA offenbar im Gegensatz zur Surrealwirtschaft ausdrückt) durch die Krise zu helfen.
    NOTA: Diese Unterscheidung scheint uns weltfremd: Für ein KMU ist die Corona-Krise eine Krise, unabhängig davon, ob die Kunden keine Bestellungen mehr tätigen oder ob sie den Betrieb aus Hygienegründen schliessen müssen. Mit dieser Einschränkung könnten sämtliche KMU von den Covid-19-Krediten ausgeschlossen sein, die aufgrund von Art. 6 COVID-19-VO-2 ihren Betrieb schliessen mussten. Hier fehlt ein deutlicher Link dieser Verordnung zu den betrieblichen Massnahmen, die unter der COVID-19-VO-2 verordnet wurden.

  • Sport- und Kulturunternehmen können wählen, ob sie einen Antrag auf einen COVID-19-Kredit stellen oder (alternativ) die sektoriellen Unterstützungspakete z.B. beanspruchen; beides zusammen zu beantragen ist ausgeschlossen (Art. 3 Abs. 1 lit. d COVID-19-SolBüVO).
    NOTA: Völlig unklar ist es, wie es sich mit Non-Profit-Unternehmen verhält (spendenfinanzierte Unternehmen), denen im Moment wegen den wirtschaftlichen Ängsten aufgrund der Coronakrise die Spendenerträge wegbrechen. Profonds Dachverband für gemeinnützige Stiftungen hat sich diesbezüglich bereits mit einem Brief an den Bundesrat gewendet. Die COVID-19-SolBüVO enthält für diese Unternehmen keinen ausdrücklichen Ausschluss: unser Rat ist also, es sofort probieren!

  • Covid-19-Kredite (und zwar beide Fazilitäten zusammen) sind auf 10% des “Umsatzerlöses […] im Jahr 2019” beschränkt. Bei überlangen Geschäftsjahren oder jüngeren Unternehmen gilt als Umsatzerlös das Dreifache der jährlichen Nettolohnsumme, mindestens aber CHF 100’000 und höchstens CHF 500’000.
    NOTA 1: Mit dieser Einschränkung sind sämtliche Unternehmen von einer Fazilität 2 (Covid-19-Kredit Plus) ausgeschlossen, die weniger als CHF 5.0 Mio. Umsatz haben.
    NOTA 2: Start Ups ohne Umsatz können sich auf die Umsatzbemessung basiert auf der Nettolohnsumme nur berufen, wenn sie nach dem 01.01.2020 gegründet wurden oder bei einer Gründung im Jahr 2019 ein überlanges Geschäftsjahr beschlossen haben. Start Ups ohne Umsatz können also keine Anträge stellen, wenn sie (i) vor dem 01.01.2019 gegründet wurden und/oder (ii) wenn sie im 2019 kein überlanges Geschäftsjahr beschlossen haben.

  • Keine Covid-19-Kredite erhalten Unternehmen (i) die sich u.a. in einem Nachlasstundungsverfahren befinden (Art. 3 Abs. 1 lit. b COVID-19-SolBüVO) oder (ii) mit einem Umsatzerlös von mehr als CHF 500 Mio. (Art. 6 Abs. 2 lit. a COVID-19-SolBüVO).
    NOTA: Die Grössenbeschränkung ist verständlich, nicht aber die Beschränkung bezüglich Unternehmen in Nachlassstundung. Diese Unternehmen müssen ja eine positive Sanierungsprognose darlegen und stehen unter Überwachung des gerichtlich bestellten Sachwalters. Ein Covid-19-Kredit wäre als Massenkredit tendenziell noch besser gesichert sein, als er dies bei ‘normalen’ Unternehmen ist.

  • Covid-19-Kredite dürfen nicht für Erweiterungsinvestitionen verwendet werden, aber ausdrücklich auch für “Ersatzinvestitionen” (Art. 6 Ab.s 2 lit. b COVID-19-SolBüVO). Auch ist ausgeschlossen, diese Kredite konzerninterne weiterzubegeben.
    NOTA: Damit dürfte wohl das Einbringen derartiger Mittel in ein gruppeninternes Cashpooling ausgeschlossen sein.

  • Auch dürfen keine Aktionärsdarlehen zurückgeführt werden oder Dividenden etc. ausgeschüttet werden, bis Covid-19-Fazilitäten amortisiert sind. Ob der Ausschluss eines “Zurückerstatten von Kapitaleinlagen” auch die Kapitalherabsetzung umfasst, lassen die Erläuterungen offen. Grundsatz ist, dass keine “Zweckentfremdung” der Mittel zulässig sein soll.

  • Die Covid-19-Kredite (Fazilität 1 und 2) sind innert 60 Monaten zu amortisieren (Art. 5 COVID-19-SolBüVO)COVID-19-SolBüVO).

  • Fazilitäten 1 sollen zu einem Zins von “0.0 Prozent” begeben werden (Art. 13 Abs. 3 lit. a COVID-19-SolBüVO), Fazilitäten 2 zu einem Zins von 0.5% pa.
    NOTA: Auch die Erläuterungen schweigen sich zum Thema der Weitergabe von Negativzinsen aus. Aber das ist ein Thema, dass sich allenfalls im Nachgang zur Corona-Pandemie sowieso einem Ende nähern könnte.

  • Ganz wichtig scheint uns Art. 24 COVID-19-SolBüVO: In einer weiteren notverordneten Anpassung des Obligationenrechts wurde bestimmt, dass die Covid-19-Kredite (und zwar nur die Fazilität 1) für “die Berechnung einer Überschuldung nach Artikel 725 Absatz 2 OR […] bis zum 31. März 2022” nicht als Fremdkapital berücksichtigt” werden.
    NOTA: Fazilitäten 1 sind also unter dem Licht von Art. 725 Abs. 2 OR bilanziell also gleich wie Rangrücktrittsdarlehen zu behandeln, die aber nur “bis zum 31. März 2022”. Mit anderen Worten: wenn im Jahresabschluss per 31.12.2012 bereits absehbar ist, dass ein Covid-19-Kredit (Fazilität 1) nicht zurückgeführt werden kann, dann sind vermutlich bereits dann die vom Gesetzgeber vorgesehenen Schritte durch das oberste Organ einzuleiten (Bilanzdeponieren oder [wenn Sanierungsaussicht besteht] Nachlassstundung beantragen).

Der Ablauf ist nun weitgehend geklärt. Viele Fragen bleiben offen und viele Unternehmen (so auch Start Ups) werden keine oder nur eingeschränkte Unterstützung erhalten. Ein “level playfield” muss durch die Praxis der Banken geschaffen werden.

Völlig offen bleibt die Frage, ob eine Umfinanzierung von bestehenden Krediten möglich ist: Unternehmen, die über bestehende Kredite verfügen und unter der Corona-Pandemie leiden, werden nun von Mitbewerbern konkurrenziert, die ihr Umlaufvermögen zu deutlich günstigeren Bedingungen finanzieren können. Diese Ungleichbehandlung muss noch beseitigt werden. Zudem dürften die Banken auch interessiert sein, einen Teil der Kredite umzufinanzieren, um eine bessere Sicherungssituation zu erreichen.

Wir werden in Kürze zusätzliche Informationen bereit stellen und über Erfahrungen berichten.


Für Fragen stehen Ihnen Balthasar Wicki und Hans Kuhn zur Verfügung.