COVID-19-Pandemie: Kein Versicherungsschutz für Ertragsausfall

Mit Urteil vom 5. Januar 2022 (4A_330/2021) hob das Bundesgericht ein Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau auf und wies die Klage eines Lokals (Restaurant und Bar) gegen eine Versicherung ab.


Die Beschwerdegegnerin (Gastrounternehmen) machte teilklageweise einen Anspruch auf Bezahlung von CHF 40’000.00 für Ertragsausfall und Mehrkosten infolge Epidemie geltend (mit Nachklagevorbehalt). Den Anspruch leitete die Beschwerdegegnerin aus der mit der Beschwerdeführerin (Versicherung) abgeschlossenen Geschäftsversicherung KMU mit Zusatzbedingungen ab.

Übernahme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen

Bei den Zusatzbedingungen handelte es sich unbestritten um Allgemeine Geschäftsbedingungen, weshalb das Bundesgericht in einem ersten Schritt prüfte, ob diese Bestandteil des Versicherungsvertrages waren. Vorliegend gab es keine individuellen Abreden und die Zusatzbedingungen wurden von der Beschwerdegegnerin global übernommen.

Strittig war zwischen den Parteien unter anderem, ob Krankheitserreger, für welche national oder international die WHO-Pandemiestufen 5 oder 6 gelten (Ausschlussklausel), vom Versicherungsschutz ausgenommen sind. Das Bundesgericht ist der Ansicht, dass es für die Übernahme des Versicherungsausschlusses nicht schadet, dass die Definitionen der WHO-Pandemiestufen nicht im Volltext in die AGB übernommen wurden. Die Definitionen waren im Internet abrufbar, was nach dem Bundesgericht mit der AGB-Zugänglichkeitsregel vereinbar sei. Dass die Definitionen nur in Englisch abgerufen werden können, obwohl der Versicherungsvertrag in Deutsch verfasst war, schadet einer Übernahme nicht. Es dürfte sich aber künftig empfehlen, zumindest einen Verweis auf die Internetseite einzufügen (siehe E. 4.1.2.).

Das Bundesgericht prüfte im Rahmen der Ungewöhnlichkeitsregel, ob die Ausschlussklausel objektiv ungewöhnlich sei, was bedeuten würde, dass diese nicht Vertragsbestandteil wäre. Das Bundesgericht befand, dass es sich bei der Ausschlussklausel um eine von vielen Bestimmungen in den Zusatzbedingungen handelt, mit denen die Versicherungsleistung eingeschränkt wird, wodurch weder der Charakter der Geschäftsversicherung KMU wesentlich geändert werde, noch die Ausschlussklausel in erheblichen Masse aus dem gesetzlichen Rahmen des Vertragstypus falle. Im Ergebnis war die Ausschlussklausel entsprechend nicht objektiv ungewöhnlich und somit Vertragsbestandteil.

Allenfalls anders wäre die Beurteilung ausgefallen, wenn die Versicherung als Epidemieversicherung bezeichnet und von der Beschwerdeführerin auch so beworben worden wäre (siehe E. 4.2.4.).

Offen liess das Bundesgericht die Frage, ob und inwiefern das Transparenzgebot bei der Prüfung Allgemeiner Geschäftsbedingungen Geltung beansprucht.

Auslegung der Ausschussklausel

Bei der Auslegung der AGB gelangte das Bundesgericht zum Ergebnis, dass die WHO-Pandemiestufen 5 und 6 nicht “in Kraft” oder “massgeblich” sein müssen, indem z.B. eine Behörde sich auf eine WHO-Pandemiestufe beruft. Bei einem gegenteiligen Ergebnis wäre die Ausschlussklausel nämlich toter Buchstabe, weil die WHO das Klassifizierungssystem bereits bei Vertragsschluss nicht mehr praktizierte.

Die Anwendung der Unklarheitsregel wurde vom Bundesgericht verneint, weil diese nur subsidiär zur Anwendung gelange, wenn sämtliche übrigen Auslegungsmittel versagen (E. 5.2.3.).

Die Parteien waren sich bereits im vorinstanzlichen Verfahren vor Handelsgericht einig, dass die Corona-Pandemie (COVID-19) sämtliche Voraussetzungen einer Pandemie der Stufe 6 gemäss einschlägiger Definition der WHO erfülle. Streitig war lediglich die Gültigkeit des Versicherungsausschlusses. Weil das Bundesgericht bei der Auslegung zum Ergebnis gelangte, dass der Versicherungsausschluss gültig vereinbart worden sei, bestand für den geltend gemachten Ertragsausfall keine Versicherungsdeckung.

Fazit

Auch wenn es meines Erachtens durchaus gute Argumente für ein gegenteiliges Ergebnis gibt, ist es zu begrüssen, dass nun ein Urteil von der höchsten Gerichtsinstanz in der Schweiz vorliegt, was Rechtssicherheit schafft. Das Urteil dürfte entsprechend eine grosse Signalwirkung auf noch hängige Verfahren und aussergerichtliche Verhandlungen haben, weil es in vielen Versicherungsbedingungen ähnlich formulierte Ausschlussklauseln gibt.

Wir gehen davon aus, dass die Bedeutung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Zukunft noch weiter zunehmen wird, weil Verträge (insbesondere auch in der digitalen Welt) nicht mehr individuell verhandelt, sondern immer mehr durch vorformulierte generelle Bedingungen geschlossen werden. Diese Entwicklung dürfte einerseits zu einer gesteigerten Effizienz führen, birgt aber auch die Gefahr einer Verschlechterung der Position der schwächeren Partei (z.B. Konsumenten).

Die Medienmitteilung des Bundesgerichts finden Sie hier.


Bei Fragen zum Thema können Sie sich gerne an Balthasar Wicki oder Sebastian Wälti wenden.