Aktienrechtsrevision | Teil 2: Elektronische Mittel in der Generalversammlung

Dieser Beitrag ist Teil unserer Artikelreihe mit einer Zusammenfassung der “Aktienrechtsrevision (voraussichtlich in Kraft ab 1.1.2023)”. Wir werden geänderte Teile der Revision beleuchten und die mögliche Auswirkungen für die Praxis skizzieren.


Die Modernisierung der Generalversammlung ist eines der Ziele der Aktienrechtsrevision 2023. Spätestens die Corona-Pandemie hob das Bedürfnis nach einer Alternative zur physischen Generalversammlung hervor. Doch auch aus rein organisatorischen Gründen ist der Einsatz von elektronischen Mitteln bei Generalversammlungen wünschenswert. Dies wurde nun berücksichtigt.

Dieser Artikel umschreibt die neuen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Generalversammlungen mit dem Einsatz von elektronischen Mitteln und legt dar, welche Handlungen vorzunehmen sind, um ab 1. Januar 2023 von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen zu können.

Die rein virtuelle Generalversammlung

Art. 701d revOR regelt die Möglichkeit, eine rein virtuelle Generalversammlung abzuhalten. Diese Option muss jedoch in den Statuten der Gesellschaft vorgesehen sein. Ausserdem ist vom Verwaltungsrat in der Einberufung ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter zu bezeichnen. Auf Letzteres kann bei börsenkotierten Gesellschaften jedoch verzichtet werden, sofern alle Aktionäre damit einverstanden sind. Weiter hat der Verwaltungsrat gemäss Art. 701e revOR sicherzustellen, dass bei der virtuellen Generalversammlung die Identität der Teilnehmer feststeht und ihre Voten in der Generalversammlung unmittelbar übertragen werden. Jeder Teilnehmer soll Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen können. Der Verwaltungsrat muss insbesondere garantieren, dass das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann. Zweck dieser Vorschriften ist es, das Unmittelbarkeitsprinzip so weit als möglich auch bei der virtuellen Generalversammlung einzuhalten, aber auch eine unverfälschte Abstimmung zu gewährleisten. Damit wird auch das Vertrauen der Aktionäre in den neuen Entscheidfindungsprozess gestärkt wird. Mit der Vorschrift der statuarischen Grundlage soll des Weiteren dem Umstand Rechnung getragen werden, dass nicht alle Personen dasselbe Vertrauen in neue technische Entwicklungen haben, weshalb das Aktionariat über dessen Anwendung entscheiden soll.

Die virtuelle Teilnahme an einer physischen Generalversammlung und die physische Generalversammlung an mehreren Tagungsorten

Art. 701c revOR sieht die Möglichkeit vor, dass einzelne Aktionäre, die nicht vor Ort anwesend sind, virtuell an der Generalversammlung teilnehmen können. Diese Option ist insbesondere für multinationale Unternehmen sehr vorteilhaft, da es mit Schwierigkeiten verbunden sein kann, bei einem multinationalen Aktionariat einen geeigneten Tagungsort zu finden.

Art. 701a Abs. 2 revOR statuiert die Möglichkeit, die Generalversammlung an mehreren Tagungsorten gleichzeitig mit elektronischer Übertragung durchzuführen. Dies ist ebenfalls für multinationale Gesellschaften sehr attraktiv, insbesondere, wenn mehrere Grossaktionäre in verschiedenen Ländern bestehen sind.

Bei beiden Optionen ist eine Anpassung in den Statuten und das Bezeichnen eines unabhängigen Stimmrechtsvertreters nicht notwendig. Dies, weil das Unmittelbarkeitsprinzip nicht in gleicher Weise wie bei einer rein virtuellen Versammlung beschränkt wird, da die Generalversammlung weiterhin physisch stattfindet. Dem Verwaltungsrat wird damit ermöglicht, flexibler nach den laufenden Bedürfnissen der Gesellschaft und dem aktuellen Stand der Technik elektronische Mittel zum Einsatz zu bringen.

Technische Probleme und deren Folgen

Kommt Technik zum Einsatz, besteht auch die Gefahr technischer Probleme. Die Revision des Aktienrechts hat dieses Problem erkannt und in Art. 701f revOR festgehalten, wie in einem solchen Fall vorzugehen ist. Sollten während der Generalversammlung technische Probleme auftreten, so dass sie nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden kann, muss sie ab diesem Zeitpunkt wiederholt werden. Davor gefällte Beschlüsse bleiben aber gültig.

Keine technischen Probleme nach dieser Bestimmung sind einzeln auftauchende Schwierigkeiten bei den Telekommunikationssystemen der Aktionärinnen und Aktionäre. Sollten jedoch flächendeckende Probleme eines bedeutenden Telekommunikations-Anbieters (zum Beispiel bei der Swisscom) auftreten und ist davon ein wesentlicher Teil des Aktionariats betroffen, darf der Verwaltungsrat dies nicht ignorieren. Er muss angemessene Massnahmen treffen, wie zum Beispiel die Versammlung kurz zu unterbrechen und diese zu einem späteren Zeitpunkt fortführen. Hingegen fallen Probleme einzelner Teilnehmer mit ihrer Hard- oder Software in deren Risikosphäre und beeinflussen den Verlauf der Generalversammlung nicht.

Ist die Generalversammlung aufgrund technischer Probleme zu wiederholen, muss die Frist zur Einberufung nach Art. 700 Abs. 1 OR nicht beachtet werden. Das neue Datum für die Wiederholung der Generalversammlung ist aber so anzusetzen, dass der Grossteil des Aktionariats nicht von vornherein an der Teilnahme verhindert ist. Wird die Traktandenliste angepasst, müssen die rechtlichen und statutarischen Vorschriften zur Einberufung vollständig eingehalten werden.

Der Verwaltungsrat kann sich von der Pflicht, die Abstimmung zu wiederholen, nicht mit dem Nachweis befreien, dass die technischen Probleme keinen Einfluss auf das Resultat gehabt haben. Dies scheint in Anbetracht dessen, dass eine solche Exkulpation bei nationalen Volksabstimmungen sehr wohl möglich ist, etwas übervorsichtig.

Weitere Möglichkeiten des Einsatzes von elektronischen Mitteln

Art. 701c ff. revOR regelt den allgemeinen Gebrauch von elektronischen Mitteln in der Generalversammlung. Neben den bereits genannten Möglichkeiten ist insbesondere die elektronische Abstimmung bei einer physischen Generalversammlung nennenswert. Diese Methode wird bei Generalversammlungen mit einem grossen Aktionariat bereits de lege lata angewendet. Die neuen Regelungen sollen die aktuelle Praxis in einen rechtlichen Rahmen betten und Missbrauchsfälle verhindern. Insbesondere Art. 701e revOR ist hierbei zu beachten, welcher die Handlungserfordernisse des Verwaltungsrats bei der Verwendung elektronischer Mittel statuiert.

Eine weitere Neuerung ist die Einführung der Möglichkeit, der unabhängigen Stimmrechtsvertretung elektronisch Vollmachten und Weisungen zu erteilen (Art. 689c Abs. 5 revOR).

Unsere Handlungsempfehlungen

Sowohl die rein virtuelle als auch die hybride Generalversammlung bieten einer Gesellschaft einen hohen Grad an Flexibilität und ermöglichen eine höhere Teilnahmequote der Aktionärinnen und Aktionäre. Insbesondere multinationale Unternehmen können davon profitieren. Es empfiehlt sich deshalb, auf den 1. Januar 2023 die Statuten überprüfen zu lassen und bei Bedarf vorausschauend eine Statutenänderung vorzubereiten, sodass sie die Durchführung einer virtuellen Generalversammlung zulassen. Sollten aktuell bereits elektronische Mittel bei der Durchführung von Generalversammlungen zur Anwendung kommen, empfiehlt es sich dem Verwaltungsrat zu überprüfen, ob die gegenwärtige Handhabung den neuen Bestimmungen der Aktienrechtsrevision standhält. Gerne sind wir Ihnen bei der Überprüfung Ihrer Statuten behilflich.

 

Haben Sie Fragen zur Aktienrechtsrevision 2023? Wenden Sie sich gerne an Balthasar Wicki oder Sebastian Wälti.