Vertragsrückabwicklung aufgrund höherer Gewalt (Force Majeure): Beispiel Messeveranstalter

Beispielfall: Am 14. April 2020 findet die Grossmesse Frühling 2020 (über 1'000 Teilnehmer) in Zürich statt. Messeveranstalter A hat dazu mit dem Aussteller B einen entgeltlichen Vertrag über die Miete der Messefläche abgeschlossen (Vertrag 1). Aussteller B hat weiter mit Getränkelieferant C einen entgeltlichen Vertrag für die Getränkelieferung geschlossen (Vertrag 2). Die Grossmesse muss in der Folge aufgrund der durch den Bundesrat erlassenen Verordnung 2 zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) vom 13. März 2020 abgesagt werden. Nun fragt sich, wer aus dieser Vertragskette welche Ansprüche geltend machen kann.

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Vertragliche Abreden zu höherer Gewalt/Force Majeure

Zunächst sind die einzelnen individuellen Verträge zu konsultieren. Vielfach finden sich Regelungen zu “besonderen Umständen” oder “höherer Gewalt/Force Majeure” in AGB oder Garantieklauseln. Sollte sich da eine spezielle Regelung finden, so geht diese Regelung den allgemeinen Vertragsregeln des OR, insbesondere der unverschuldeten Unmöglichkeit gemäss Art. 119 OR, vor. Sofern keine vertraglichen Regelungen zu finden sind, so sind die allgemeinen Regeln des Obligationenrechts anzuwenden. Zur Diskussion ob COVID-19 ein Anwendungsfall höherer Gewalt/Force Majeure ist lesen Sie diesen Newsbeitrag.

Fehlende vertragliche Abrede zu höherer Gewalt/Force Majeure

Sofern sich keine Klausel im Vertragswerk finden lässt, muss zwischen nachträglich dauernder oder nachträglich vorübergehender Unmöglichkeit unterschieden werden. Die vorübergehende Unmöglichkeit wird nach den Regeln des Verzugs im Sinne von Art. 102 ff. OR behandelt. Ob es sich um vorübergehende oder dauernde Unmöglichkeit handelt, ist im Einzelfall zu entscheiden. Grundsätzlich wird es sich bei den angeordneten Massnahmen aufgrund des COVID-19 um vorübergehende Unmöglichkeit handeln. Bei der Grossmesse Frühling 2020 wird es jedoch zentral sein, dass diese im Frühling 2020 auch stattfinden kann. Eine nachträgliche Erfüllung würde somit zwecklos, da es wesentlicher Vertragsbestandteil ist, dass der Aussteller auch zum fraglichen Zeitpunkt ausstellen kann. Man spricht von einem absoluten Fixgeschäft. Könnte hingegen auch noch zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden, so kommen die Verzugsregeln gemäss Art. 102 ff. OR zur Anwendung (siehe News Artikel zu Verfügungsgeschäften).

In diesem Beispielfall wäre daher wohl die dauernde nachträgliche Unmöglichkeit zu prüfen. Zu unterscheiden ist sodann noch die verschuldete Unmöglichkeit (Art. 97 OR) von der unverschuldeten Unmöglichkeit (Art. 119 OR). Bei der verschuldeten Unmöglichkeit wird die Vertragspartei bei Vorliegen eines Schadens schadenersatzpflichtig, das Verschulden wird vermutet, wobei ein Entlastungsbeweis erbracht werden kann.

Die Regeln der unverschuldeten Unmöglichkeit haben hingegen zur Folge, dass der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit wird und die Forderung auf Gegenleistung erlischt. Voraussetzung dazu ist, dass der Schuldner das Unmöglichwerden der Leistung in keiner Weise verschulden darf bzw. ob es in keiner Weise seinem Risikobereich zuzuordnen ist. Die einzelnen Risikobereiche der beteiligten Schuldner sind dabei gegeneinander abzugrenzen. Bei der unverschuldeten Unmöglichkeit gemäss Art. 119 OR hat bei zweiseitigen Verträgen der Schuldner die bereits empfangene Gegenleistung zurückzuerstatten und er verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung. Messeveranstalter A würde somit von der Leistungspflicht gegenüber Aussteller B befreit, hat eine allfällig bereits erhaltene Zahlung zurück zu erstatten und verliert den Anspruch auf Entgelt. Ob der Ausbruch des Coronavirus als höhere Gewalt gewertet würde, wurde in der Rechtsprechung bisher noch nie behandelt, erschiene jedoch aufgrund der Unvorhersehbarkeit dieser Situation als adäquat.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Gericht die Corona-Pandemie als Grund für eine unverschuldete Unmöglichkeit nach Art. 119 OR beurteilt.
— RA Rebecca Isenegger

Beachtet werden muss im Einzelnen noch, wann der Gefahrenübergang stattgefunden hat, etwa im Kaufrecht gemäss Art. 185 OR geht die Preisgefahr bereits bei Vertragsabschluss auf den Käufer über. Das heisst, dass der Käufer trotz unverschuldetem Ausbleiben der Leistung des Verkäufers bezahlen muss. Im vorgenannten Sachverhalt behielte somit Messeveranstalter A trotz ausbleibender Leistung den Anspruch auf Entgelt gegenüber Aussteller B. Um die Frage des Gefahrenübergangs zu beurteilen, muss ebenfalls der individuelle Vertrag konsultiert werden. Allenfalls spielen hier auch noch Vereinbarungen im internationalen Handelsverkehr eine Rolle (z.B. Incoterms).

Sofern die Erfüllung nicht direkt durch das behördliche Verbot verhindert wurde, bspw. der Getränkelieferant C, der seine Leistung grundsätzlich immer noch an erbringen könnte, ist der sog. Zweckfortfall (oder auch Unmöglichkeit der Zweckerreichung) zu diskutieren. Dogmatisch ist der Zweckfortfall ebenfalls der objektiven Unmöglichkeit zuzuordnen. Erfolgte der Zweckfortfall aufgrund von höherer Gewalt, die nicht in die Risikosphäre des Schuldners einzuordnen ist, so wird dieser ebenfalls von seiner Leistungspflicht befreit.

Die beidseitige Schuldbefreiung unterliegt einer weiteren Ausnahme, namentlich dann, wenn der Schuldner für seine ausgebliebene Leistung eine Ersatzleistung (z.B. von einer Versicherung) bekommt. Der Gläubiger hätte somit Anspruch auf die Ersatzleistung (sog. stellvertretendes commodum).

Das daraus sich aus der nachträglichen Unmöglichkeit ergebende Rückabwicklungsverhältnis ist vertraglicher Natur und unterliegt der allgemeinen Verjährung nach Art. 127 OR.


Dieser Beitrag wurde von RAin Rebecca Isenegger verfasst.

Für weiter gehende Auskünfte wenden Sie sich bitte an Balthasar Wicki.